Chastening - Züchtigung oder Erziehung?

Luther hat die Übersetzungstradition des griechischen “παιδεία“ (paideia) auf “Züchtigung” vorgeprägt und viele deutsche Übersetzer folgten dieser Tradition.

Im Griechischen und vor allem im Kontext der Bibel geht es bei diesem Wort, dass die Übersetzer der King James Bible mit “chastening” und “chasten” übersetzten, nur in wenigen Fällen tatsächlich um körperliche, also physische Züchtigung. Denn daran denkt der deutsche Leser automatisch. Es gibt zwar auch psychologische Züchtigung, aber deren Anwendung wird nicht so bezeichnet. Unter Züchtigung verstehen wir im deutschen Sprachraum die Erziehung mittels physischer Gewalt.

Und genau da liegt der Fehler Luthers und seiner Nachfolger. Einerseits wird die Ausübung der göttlichen Gewalt in der Vaterrolle auf das physische Züchtigen seiner Kinder verengt und zugleich wird die breitete Bedeutung des griechischen Textes auf ein Thema verengt.

Aber hier geht es um einen Aspekt der Beziehung Gottes zu seinen Kindern: Die Erziehung. Deren Durchführung ist durchaus auch unangenehm und sogar schmerzhaft, aber nicht wegen physischer Gewalteinwirkung Gottes. Gott schlägt seine Kinder nicht mit seiner auf Erden nicht vorhandenen Hand, sondern mit Schicksalen oder (auch durchaus schmerzlichen) Erfahrungen.

“Erziehung” passt besser und lässt die Bandbreite an Variationen offen, die der Textus Receptus mit παιδεία aufspannt. Angelehnt daran übersetzen wir “chasten” mit erziehen und das passive “chastened” entweder mit “erzogen” oder im Kontext auch “geläutert”.

Eine schöne Klarstellung bietet da Hebräer 12, Vers 8:

Im Original: “But if ye be without chastisement, whereof all are partakers, then are ye bastards, and not sonnes.

Übersetzt: “Aber wenn ihr ohne Erziehung seid, wovon alle Teilhaber sind, dann seid ihr Bastarde und nicht Söhne.

Warum sollten wir nur Söhne sein, wenn wir geschlagen werden? Der Bastard von nebenan kann vom Vater durchaus gezüchtigt, also geschlagen werden, aber erzogen werden von ihm nur seine eigene Kinder. Denn Ziel der Erziehung ist Wohlverhalten nach der Maßgabe der Eltern. Das Züchtigen eines rüpelhaften Kindes außerhalb der Familie ist hingegen keine Erziehung, sondern eine Maßregelung, damit der Gezüchtigte sich den Regeln der Gesellschaft gemäß verhält. Die persönliche Zielvorstellung des Züchtigenden ist dabei nicht im Vordergrund (wenn es doch so wäre, würde man von einem Missbrauch oder einem Übergriff sprechen).